“Pädagogische Versetzung”

“Pädagogische Versetzung”

Pädagogische Versetzung

Sinn oder Unsinn?

In diesem Beitrag geht es um die sogenannte pädagogische Versetzung oder auch den Übergang in die nächsthöhere Jahrgangsstufe trotz nicht ausreichender Zensuren. Ich frage mich seit Jahren, ob dieses Verfahren sinnvoll oder nicht ist.

BASS

Schulen bundesweit sind dem Schulgesetz untergeordnet. Dies unterscheidet sich von Bundesland zu Bundesland, denn Schule ist Ländersache. Dies bedeutet, dass es in ganz Deutschland keine Vereinheitlichung des Systems Lernen gibt. (Über die Sinnhaftigkeit kann und sollte man nicht nachdenken) Das Schulgesetz für NRW könnt ihr hier einsehen : https://bass.schul-welt.de/6043.htm#1-1p50. Es macht nicht wirklich Spaß, es zu lesen, ist aber unter manchen Umständen sehr sinnvoll.

Alle Systeme regeln ihre Ordnung per Regeln, per Gesetzen, paragraphiert. Die BASS ist das “Gesetzbuch” für das System Schule. Viele Punkte sind ganz klar definiert und das ist auch gut so. In Teil fünf, zweiter Abschnitt, finden wir die Regeln zur Leistungsbewertung. Paragraph 50 regelt die Versetzung. Für die Sekundarstufe 1 insbesondere gilt die Ausbildungsprüfungsordnung Sek I. Dort kann man nachlesen, unter welchen Bedingungen ein Schüler in die nächste Jahrgangsstufe versetzt wird. Dazu orientiert man sich üblicherweise an den Zeugnisnoten.

Zeugnisnoten

Die Zeit vor den Zeugnissen bedeutet für alle Beteiligten Stress. Für die Lehrer sowie für die Schüler. Die letzten Klassenarbeiten werden geschrieben, korrigiert, Noten werden vergeben. Mündliche Mitarbeit und schriftliche Überprüfungen werden zu einer Gesamtzensur zusammengezogen, um eine Zeugnisnote zu vergeben. Eventuell kann ein Schüler seine Note noch kurz vor Schluss verbessern und eine schlechte Zeugnisnote vermeiden. Allgemeine Hektik bricht aus, denn alles will noch erledigt werden. Bei allem gilt: Bei der Vergabe der Zensur gilt es, alle Leistungen zu berücksichtigen und eine faire Note zu vergeben. Wenn man alle Noten beieinander hat, überprüft man, ob ein Schüler mit den erworbenen Zensuren in die nächste Jahrgangsstufe versetzt ist. Dabei gilt es, besagte Regeln zu beachten.

Versetzung

Der Schüler wird in die nächste Jahrgangsstufe versetzt, wenn er angemessene Noten erzielt hat. Dazu gibt es Versetzungskonferenzen, wo nach vorheriger sorgfältiger Überprüfung des Klassenlehrers über die Zensuren des Einzelnen abgestimmt wird.

Über die Versetzung entscheidet die Klassenkonferenz

Denn so steht es geschrieben: Paragraph 50 Absatz 2 (2) Über die Versetzung entscheidet die Klassen- oder Jahrgangsstufenkonferenz als Versetzungskonferenz. Mitglieder der Versetzungskonferenz sind die Lehrerinnen und Lehrer, die die Schülerin oder den Schüler im zweiten Halbjahr unterrichtet haben. In der Versetzungskonferenz übernimmt die Schulleiterin oder der Schulleiter den Vorsitz oder bestellt eine Vertretung.

APO-Sek I

Hier kann man die allgemeinen Versetzungsanforderungen in Gänze nachlesen: https://bass.schul-welt.de/12691.htm#13-21nr1.1p23

In Paragraph 22.3 steht nun Folgendes:

(3) Eine Schülerin oder ein Schüler kann auch dann versetzt werden, wenn die Versetzungsanforderungen aus besonderen Gründen nicht erfüllt werden konnten, jedoch erwartet werden kann, dass auf Grund der Leistungsfähigkeit, der Gesamtentwicklung und der Förderungsmöglichkeiten der Schule in der nachfolgenden Klasse eine erfolgreiche Mitarbeit möglich ist. Eine Versetzung nach Satz 1 ist ausgeschlossen, wenn damit die Vergabe eines Abschlusses oder einer Berechtigung verbunden ist.

Man lasse sich dies im Munde zergehen: Im Klartext bedeutet es, dass ein Schüler versetzt werden kann, obwohl es die Noten nicht zulassen. Man nennt das die “pädagogische Versetzung.” Und das geschieht häufiger, als man denkt.

Damit werden meiner Meinung nach pädagogische Maßnahmen wie ein Elternsprechtag, blaue Briefe, Gespräche und auch letztlich Bewertungen oder Zensuren schlechthin obsolet.

Ist die pädagogische Versetzung sinnvoll ?

Oft werden dann doch, zumindest im System der Hauptschule, Schüler trotz eines vor schlechten Noten trotzenden Zeugnisse versetzt, bzw. gehen in den nächsten Jahrgang über. Schüler, die laut der Regeln eigentlich die Klassenstufe wiederholen müssten. Hier nutzt man den § 23.1 APO S I.

Warum ist das so? Es schlussendlich die Schulleitung, die entscheidet, wieviele der eigentlich nicht versetzten Schüler und Schülerinnen dann doch versetzt werden (in die nächste Jahrgangsstufe übergehen), die Zahlen vorgibt, die den Lehrer/Klassenlehrer letztlich handlungs- und entscheidungsunfähig macht. An allen vier Schulen, an denen ich bislang unterrichtet habe, war das so. Ausnahmen bestätigen sicher die Regel, hoffentlich.

Ich will nicht leugnen, dass bei einigen Schülern die sogenannte pädagogische Versetzung nach § 22.3 APO-S I sinnvoll ist. Aber bei Faulheit, üblem Lernverhalten, hohen Fehlzeiten ….. ernten die Schüler, was sie nicht gesät haben. Was macht das mit den fleißigen Schülern, die sich Mühe gegeben haben, immer da waren, was für ein Zeichen wird gesetzt? Meiner Meinung nach kein gutes. Denn die Schüler, die pädagogisch versetzt werden, zeigen meist im nächsten Schuljahr das gleiche Verhalten, haben die Lerninhalte nicht intus und ganz vielleicht lachen sie sich ins Fäustchen. Ich zitiere: “Ich werd ja sowieso versetzt, ist doch egal, wie meine Noten sind….”

Die Zahlen müssen stimmen

Ich kann verstehen, dass SL eine große Verantwortung hat. Die Zahlen müssen stimmen.

Doch sind wir in der Schule nicht mehr als nur Zahlen?

Nur einmal in meiner Laufbahn als Lehrerin habe ich erlebt, dass SL eingeknickt ist. Maßgabe war, Schüler xy wird versetzt, trotz eines durchweg mangelhaften Zeugnisses. Ich habe mich gewagt zu äußern, dass wir uns doch lächerlich machen, da der Schüler schon kokettierte mit “mir passiert sowieso nichts, ich kann machen, was ich will”. Da “durfte” ich als Klassenleitung die Noten, die der Schüler sich verdient hatte, geben und er musste eine Klasse wiederholen. PS. Dem Schüler hat es gutgetan, er hat seinen “Denkzettel” bekommen, sich fortan zusammengerissen bis hin zum erfolgreichen Abschluss.

Ist das Manipulation?

Horror für mich ist es, wenn man die Noten abgegeben hat und dann ins SL-Zimmer zitiert wird, um “zu schauen, was man da noch machen kann”. Das ist Aufforderung zur Manipulation und hat mit den tatsächlichen Leistungen der Schüler nichts mehr zutun. Ich habe auch schon erlebt, dass eine Kollegin, deren Verbeamtung noch bevorstand, mit eben diesem Hinweis aufgefordert wurde, wohlwollender zu sein.

Die Krönung war, lang ist’s her, als ich unnachgiebig war und mich (scheinbar) durchgesetzt hatte mit meiner Meinung, dass Noten und somit Versetzung gerecht sein sollten (jetzt folgt der Widerspenstigen Zähmung): Die damalige SL übte mit den Sitzenbleibern die Nachprüfung im Dienstzimmer und gab der Kollegin die Aufgaben für die Nachprüfung vor. Muss ich erwähnen, dass es alle “geschafft” haben?

(Als ich Jahre später eine der Schülerinnen traf, sagte sie, sie habe es überhaupt nicht verstanden, wie sie es in die 10B geschafft habe. Dort hatte sie jämmerlich versagt, hat lediglich ein Abgangszeugnis erhalten und schlussendlich Jahre später auf dem zweiten Bildungsweg den EESA nachgeholt (damals noch Hauptschulabschluss nach Klasse 10). Das zeigt die Crux an dem Ganzen. “Besser” werden die Schüler nicht, wenn sie “pädagogisch” in die nächste Jahrgangsstufe übergehen. Daher die Frage: Ist es für die Schüler pädagogisch oder für das System?

Selbstwirksamkeit eines Lehrers

Selbstwirksam ist man als Lehrer ja eh selten. Man unterliegt schließlich Regeln. Vor den Sommerferien aber erlebt man, wie Regeln verweichlicht oder außer Kraft gesetzt werden. SL hat das letzte Wort und dahinter steht ganz gewiss noch jemand in höherer Ebene, ganz ganz oben. Das macht mich traurig und lässt mich (noch mehr) am System zweifeln.

Wie ist es bei dir? Hast du Ähnliches erlebt? Wie ist deine Meinung zum “Versetzungsparagraphen”? Ist es nur ein Phänomen an Hauptschulen, Brennpunktschulen? Hinterlasse doch gern einen Kommentar 🙂

Hier schreibe ich über die Frage: Kann ich meine Note noch verbessern, lies doch gern mal rein.

Herzlich, Claudia

Foto by wayhomestudio on Freepik

1 Kommentar

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